von account
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14 Aug., 2021
Schaut und hört man sich im Kreise der Anfallspatienten um, geistert immer wieder ein einziges Wort durch alle Gespräche. Ein Wort, das alleine schon durch seine Existenz Angst zu machen scheint und Unsicherheit auslöst. Eine Buchstabenabfolge die genau das beschreibt, was jeder Epilepsiekranke so sehr fürchtet. Die Anfallsauslöser. Interessant ist die Vielfältigkeit der Anfallsauslöser. Schaut man in medizinischen aktuellen Medien, wird sehr vorsichtig mit dem Wort Anfallsauslöser umgegangen, wogegen manche Epilepsiepatienten immer und überall potentielle Anfallsauslöser lauern sehen. Was ist also dran, an diesen potentiellen Auslösern? Außenstehende fragen sich vielleicht, warum die Menschen eigentlich solche Angst vor den Anfallsauslösern haben? Klar weil sie Anfälle verursachen. Aber verursacht Angst nicht auch Anfälle? Ein Teufelskreis - könnte man meinen. Oftmals haben auch nicht die Anfallskranken selbst solche panische Angst vor den Anfallsauslösern, sondern deren Angehörige. Eine Mutter, die mit Argusaugen jeden Freundestreff misstrauisch beäugt, aus Angst ihr Sprössling könnte in die gefährliche Disco gehen, wird dem Nachwuchs sicherlich keine Selbstsicherheit geben können. Die Ehefrau, die ihrem Mann das Fahrrad fahren ausredet, weil er doch, nach 2 anfallsfreien Jahren, kein Risiko eingehen sollte, klammert höchstens, tut ihrem Mann aber nichts Gutes. Die Oma, die Epilepsie immer noch schamhaft ansieht und ihrem Enkel das Reden über die Krankheit verbietet, erweist ihm sicherlich keinen Gefallen. Im schlimmsten Falle bekommen Betroffene Selbstzweifel und Depressionen. Viele unserer Ängste haben wir nicht Selbst gemacht, sondern sie wurden uns eingeflüstert. Andersrum wird aber auch ein Schuh draus. Vielleicht haben wir selbst auch in anderen unbedarften Menschen Zweifel gesät. Wenn 80% unserer Konversationen mit dem Satz endet „das darf ich nicht“, wäre es ein Wunder, wenn sich das nicht in den Köpfen festsetzen würde. Dabei würde uns vieles, vermeintlich Verbotene, sogar sehr gut tun. Vor einiger Zeit entdeckte ich auf einer Internetseite Ratschläge, die gegen überall lauernde Bedrohungen schützen sollten. Ich denke nicht, dass die Ratgeberin, mit ihrer überbordenden Vorsicht, alleine da steht, vielmehr denke ich, das noch viele Patienten der Meinung sind dass alle möglichen Anfallsauslöser auch ihnen persönlich gefährlich werden könnten, denn zu genau diesen Patienten gehörte auch ich eine gewisse Zeit lang. Was bei meinem Start in die geheimnisvolle Welt der Epilepsie auch kein Wunder war. Es begann 2003 in einer kleinen neurologischen Klinik. Diagnose: komplex fokale Epilepsie. Behandlung: Ein Antiepileptikum, das mich traumwandeln ließ und ein weißer Din A 4 Zettel, der mich tief verunsicherte. Auf diesem unschuldigen Blatt reinweißen Papiers standen Dinge, die mir ab sofort verboten sein sollten. Warum, das verstand ich nicht wirklich. Aber ganz nebenbei würde sich durch diese Verbotsliste, die mich irgendwie stark an die 10 Gebote erinnerten, mein ganzes Leben verändern, denn zufällig machten die meisten dieser verbotenen Dinge meinen Alltag aus. Leitern steigen – dieses Verbot war in meinem damaligen Beruf eher schlecht, denn ohne Leiter konnte ich keine Fenstern dekorieren. Fenster putzen - damit konnte ich sehr gut leben. Kinder bekommen – das stand 2003 tatsächlich noch auf dieser Liste. Heute würde das sicher Niemandem mehr einfallen Auto fahren – das tat wirklich weh. Mit Kindern und ohne Möglichkeit des Nahverkehrs zu meiner Arbeitsstätte hatte ich ab sofort ein Problem. Nicht baden – Puh, ein Weltuntergang war das nicht. Aber begeistert war ich auch nicht. Nicht schwimmen – Ohne Fahrerlaubnis fiel das sowieso flach. Nicht Fahrrad fahren – Das war zufällig mal kein Problem. Dieses waren die aufgeführten Verbote. Was im Anschluss kommen sollte waren die Anfallsauslöser und die machten mir noch sehr viel mehr Angst. Alkohol - Upps, ich war nicht nur überaus gesellig, ich genoss auch meine Weinabende Flackerlicht – Als junge Mutter besucht man Discos eher selten, das sollte kein Problem sein Schlafentzug – Ich würde meinen Terminplaner wohl intensiv überarbeiten müssen Stress – Ich habe zwei Kinder, ging arbeiten, trainierte ein Männerballett, war Stabführerin im Spielmannszug und begleitete meinen Mann auch zum Fußball. Wer hat da schon Stress? Aufregung- Ich habe zwei Kinder und musste zu Elternabenden gehen. Mehr muss ich nicht erwähnen. Videospiele – Sehr schade, ich habe gerne Rätselspiele mit meinem Sohn gespielt. Und andere Reize…. was auch immer damit gemeint war. Vergessen wurde auf diesem reinweißen Blatt das kleine, aber feine Wörtchen „KANN“. Nach der Pauschalliste hörte es sich an, als würden alle oben genannten Dinge für mich gefährlich werden. Vielleicht war es schlicht ein Versäumnis des Erstellers, aber dieses fehlende Wörtchen „kann“ oder „könnte“ veränderte mein Leben für die nächsten zwei Jahre komplett, denn ich war eine vorbildliche Patientin!!! Im anfangs erwähnten Ratgeberforum, las ich, gut 15 Jahre später, dass Ausdauersport auch sehr gefährlich sei. Wenn ich nicht schon so aufgeklärt gewesen wäre, wie ich es heute bin, hätte mich spätestens nach diesem Rat die Skepsis gepackt. Wenn Ausdauersport also schädlich für Epilepsiepatienten sein soll – was, so pauschal ausgesprochen, natürlich absoluter Blödsinn ist, was ist dann mit dem Langstreckenläufer Georg Thoma, für den ein Marathon eher eine Kurzstrecke darstellt? Was ist mit Jerome Becher, der Marathon läuft und einen Rekord mit 24h Dauerschwimmen aufstellte. Was ist mit den anderen Sportlern mit Epilepsie? Es mag durchaus sein, dass nicht jeder Epilepsiepatient Ausdauersport verträgt, aber bei der überwiegenden Zahl der Patienten wirkt Sport sogar entlastend, sie beschreiben sich nach dem Sport als befreit und selbstsicherer. Mal ganz abgesehen von den anderen körperlichen Vorteilen. Ich nehme an, dass man mittlerweile keine Pauschalverbote mehr ausspricht. Ich möchte aber trotzdem darauf hinweisen, dass Verbote stets auf die eigene Anfallsart und das eigene Leben abgestimmt sein sollten. Selbstverständlich kann ich persönlich, dank Aura, Leitern steigen und Fenster putzen. Es muss ja nicht gerade in 3 Metern Höhe sein. Flackerlicht betrifft nur ganz wenige Epilepsiepatienten, zu denen ich ausnahmsweise auch gehöre. Aber ein oder zwei Gläschen Wein machen mir dagegen nichts aus. Eine Erkenntnis, die ich im Übrigen einem sehr renommierten Professor für Epilepsie zu verdanken habe. Wie überraschend sich das Thema Anfallsauslöser entwickeln kann, sieht man auch sehr deutlich an folgenden Beispielen. Ich war zur Gründungsfeier einer Epilepsiestiftung eingeladen. Meine Aufgabe bestand darin, Bilder auszustellen, zu malen und das entstandene Bild zu stiften. Mein Mann und ich mussten noch einige Vorbereitungen vor Ort treffen und so waren wir schon lange vor Beginn der Veranstaltung dort. Gleichzeitig baute die Musikkapelle ihr Equipment auf und stimmte die Instrumente. Alles war gar kein Problem für mich, bis man ein Streichinstrument einstimmte. Der Ton bohrte sich in meinen Kopf und um meinen Hinterkopfbereich fühlte es sich an, als würde mich ein eiserner Ring umklammern. Ich konnte es einfach nicht aushalten und ging hinaus, um mich abzulenken. Selbst als ich im Flur stand und den Ton nur noch gedämpft hörte, war er unerträglich präsent. Ging ich ein paar Meter weiter, aus der Akustikzone heraus, wurde es besser. Das war tatsächlich eine Überraschung für mich, denn ich hätte niemals gedacht, dass eine bestimmte Frequenz, bzw. eine schnelle Tonfolge bei mir Anfallsauslösend wirken könnte. Zumal ich es als Flötistin gewohnt war relativ hohe Töne zu spielen. … Zwei Tage später half ich meiner Schwiegermutter auf ihrem 70. Geburtstag bei der Bewirtung der sehr fröhlichen Gäste. Obwohl mir genau diese Tätigkeiten richtig viel Freude bereiten, schwirrte mir nach guten drei Stunden der Kopf, ich verwechselte Worte, zitterte und musste mich hinsetzen. Nach einer kurzen Pause machte ich weiter und geriet an einen Mann, der mir intensiv seine Geschichte erzählte. Inhaltlich ging ein Großteil nicht mehr in meinen Verstand, aber der eiserne Ring um meinen Hinterkopf kam zurück und ich hatte das Gefühl umzukippen. Mir war klar, dass ich ganz schnell Ruhe brauchte und so fuhren wir nach Hause. Es war mir regelrecht peinlich, jedoch fand sich in diesem Moment keine andere Lösung. Der kühle Fahrtwind, der durchs Fenster auf meine Stirn blies, ließ die Spannung etwas abflauen, aber ich hätte mit Sicherheit keine 5 Minuten mehr ohne Folgen überstanden. Das war ein herber Rückschlag für mich, denn ich wollte so gerne wieder arbeiten gehen. Doch spätestens an diesem Tag musste ich mich nun fragen, was genau denn nun meine persönlichen Anfallsauslöser überhaupt sind? Was kann ich tun, was kann ich nicht tun? Viele Leute machen mir normalerweise gar nichts aus. Hatten sich meine Anfallsauslöser geändert oder war einfach alles etwas zu viel für mich? Vielleicht war es auch gar nicht epileptisch, sondern psychisch? Dabei habe ich mich in einigen Dingen niemals meiner Epilepsie gebeugt. Ich trainierte, zu diesem Zeitpunkt, bereits seit 16 Jahren mein Männerballett, ging in der Bütt genauso gerne auf die Bühne wie als Epilepsie-Patientenbotschafterin und kickte auch ein bisschen in der Damenfußballmannschaft. Das Risiko, in der Öffentlichkeit einen Anfall zu bekommen, habe ich also immer relativ gelassen getragen. Fragen über Fragen, die man eben nicht mit einem pauschalen weißen Blatt Papier beantworten kann. Hier galt es nun herauszufinden warum ich plötzlich wieder so empfindlich war. Ein Tagebuch half mir und meinem Arzt dies herauszufinden. Dort hielt ich meine jeweiligen Tagesabläufe, meine Stimmungen, Gefühle u.s.w. fest und analysierte sie. Nur so konnte ich mich und meine Epilepsie richtig kennenlernen und mein Leben so normal, wie es mir möglich war, weiter leben. Ich hatte das zwar alles schon hinter mir, aber es schien sich etwas geändert zu haben. So mühsam sich das auch alles anhören mag, ist es trotzdem besser als allen potentiellen Anfallsauslösern aus dem Weg zu gehen. Patienten die sich, nur von Angst geleitet, allem entsagen, beschneiden sich und ihr Leben um ein großes Stück Lebensqualität und Freude. Natürlich gibt es die Anfallsauslöser, aber nicht Jeder hat dieselben. Wir sind individuell und das ist auch gut so. Mein Rat: Vergesst nicht zu leben, habt Spaß und investiert etwas Zeit in die Suche Eurer persönlichen Quälgeister. Die könnt Ihr dann verbannen, aber mit allem anderen könnt Ihr vielleicht auch richtig viel Spaß haben. Eure Anja Hier noch ein paar interessante und lesenswerte Links dazu: http://www.epikurier.de/Ist-Stress-schaedlic.849.0.html (Epilepsie und Stress) http://www.epilepsie-selbst-kontrollieren.de/html.html (sehr interessante Seite) http://www.epilepsie.sh/Anfallsselbstkontrolle.325.0.html http://www.swissepi.ch/web/swe.nsf/swehomepage_followup?OpenPage